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pro Interplast hilft - Junge Ukrainerinnen sorgen dafür, dass Hilfsgüter wirklich ankommen

Drei Ukrainerinnen stehen wie so viele andere Frauen mit ihren Kleinbussen an der polnisch-ukrainischen Grenze, um Hilfsgüter entgegenzunehmen und in ihrer Heimat zu verteilen. Christian Kühner, stellvertretender Vorsitzender des Seligenstädter Vereins pro interplast, hält über Facebook und Whatsapp Kontakt zu ihnen. Ohne die Frauen wäre der erste Hilfskonvoi des humanitären Vereins aus Seligenstadt und der Jüdischen Gemeinde Hanau am Grenzübergang Korczowa-Krakowez hoffnungslos gestrandet.

Normalerweise kommt im Februar das Geschäft der beiden Veranstaltungsplanerinnen Tania Nychay und Marianna Lyvyniuk richtig ins Rollen. Hochzeitsvorbereitungen stehen an, die beiden jungen Frauen aus dem westukrainischen Lwiw helfen bei der Wahl der Brautkleider und kümmern sich um die Dekoration. Seit der russischen Invasion hat sich ihr Leben um 180 Grad gedreht. Am Weltfrauentag öffnete Tania ihre Blumenboutique und finanzierte mit dem Erlös schusssichere Westen für Flüchtlinge. Auch Viktoria Danyliv hatte große Pläne, wollte mit ihrem Mann in ihrer Heimatstadt Iwano-Frankiwsk ein Restaurant mit Terrasse und Garten eröffnen. Ihre Facebook-Profile zeigen die drei Ukrainerinnen geschminkt und frisiert, in Glitzertop und Abendkleid. Jetzt stehen die Mittzwanzigerinnen wie so viele andere Frauen jeden zweiten Tag mit ihren Kleinbussen an der polnisch-ukrainischen Grenze, um Hilfsgüter entgegenzunehmen und in ihrer Heimat zu verteilen. In Jogginghose, ausgelaugt, traurig.

„Das waren drei junge Frauen, die ihr Leben genossen haben. Und dann ist von einem auf den anderen Tag alles vorbei und es geht nur noch ums Überleben“, sagt Christian Kühner, stellvertretender Vorsitzender des Vereins pro interplast. Er hält über Facebook und Whatsapp Kontakt zu den Ukrainerinnen. „Heldinnen“ nennt er sie. Ohne die Frauen wäre der erste Hilfskonvoi des humanitären Vereins aus Seligenstadt und der Jüdischen Gemeinde Hanau am Grenzübergang Korczowa-Krakowez wohl hoffnungslos gestrandet. 15 vollgeladene Fahrzeuge, 100 Tonnen Güter – und kein Durchkommen.

„Polen hatte die Grenzen zugemacht aus Angst vor einem Angriff auf Lwiw“, berichtet Kühner, der einen der Lkw steuerte. Nachdem die Gruppe selbst mit Kontakten bis zur UN-Botschaft nicht weiterkam, hielt der Seligenstädter auf dem Parkplatz Ausschau nach ukrainischen Kennzeichen – und traf auf Viktoria. „Ich habe sie gefragt, was sie braucht. Und wir hatten das alles dabei.“ Viktoria verständigte ihre Freundinnen. „Als sie gemerkt haben, dass wir helfen wollen, dass wir ihnen die Busse vollladen und dass sie nicht allein sind, da war auf einmal wieder ein Lachen in ihren Gesichtern“, sagt Kühner.

Die Gruppe drehte gemeinsam ein Handyvideo. Als Ermutigung und Hoffnungsbotschaft, aber auch zur Aufklärung. „Aufgrund der Propaganda glauben selbst in Russland lebende Familienangehörige nicht, dass in der Ukraine Krieg herrscht.“

Kühner warnt Hilfstransporte davor, die Grenze ohne Kontakte in die Ukraine anzusteuern. „So entstehen die Bilder, auf denen das ganze Zeug in der Gegend herumfliegt, und die Gerüchte, die Menschen seien undankbar und lehnten Hilfe ab. Die Ware muss in die Ukraine.“ Auch müssten die ukrainischen Helfer priorisieren: „Wenn Mehl gebraucht wird, können sie keine Stofftiere mitnehmen.“

50 Schlafsäcke und 250 Thermosflaschen hat Kühner über seinen Verein für die zweite Transportfahrt mit sechs Seligenstädter Fahrzeugen am heutigen Freitag bestellt, dazu Medikamente, Operationsbesteck, Arterienklemmen im Wert von 6 000 Euro. Die Frauen hätten ihn über Whatsapp um Material zum Abbinden von Körperteilen gebeten.

Seligenstädter Verein pro interplast hat bislang 60.000 Euro an Spenden gesammelt

Spendengelder in Höhe von 60 000 Euro hat pro interplast bisher gesammelt, der Wert der gespendeten Güter ist längst nicht mehr zu beziffern. „Die Bilder aus der Ukraine haben mich so bewegt, ich wollte einfach helfen“, sagt Kühner. Auf seine Initiative beschloss pro interplast zunächst, einen Lkw zu mieten – später kamen ein zweiter und der Kleinbus der Pfarrei St. Marien hinzu – und 5 000 Euro zur Verfügung zu stellen. Richtig in Fahrt kam die Aktion dank Kühners Kollegen von der Postbank. Per kurzer Mail bat er um Unterstützung, nach 24 Stunden waren 15 000 Euro eingegangen. „Da hat der Verein erst gesehen, was eigentlich möglich ist, und weitere Spendenaufrufe gestartet“. Auch Edeka Beck in Seligenstadt und Selgros Aschaffenburg sind zu wichtigen Unterstützern geworden.

Die Seligenstädter schlossen sich dem Konvoi der Jüdischen Gemeinde Hanau an und starteten am 7. März. Nach 22 Stunden Fahrt war die Euphorie kurz vor der Ankunft groß. Doch die Stimmung kippte schlagartig, als die ersten Panzer der Nato in Sichtweite kamen. „Auf der leeren Autobahn fuhr nur unser Konvoi, und dann waren da immer mehr Panzer und Militärfahrzeuge mit Soldaten drauf. Auf einmal waren wir mittendrin. Eine halbe Stunde lang haben wir keinen Ton mehr gesprochen“, erzählt Kühner.

Noch tiefer hat sich der Anblick der Flüchtlinge am Grenzübergang ins Gedächtnis gebrannt. Kühner fällt es schwer, darüber zu sprechen, die Bilder holen ihn auch tagsüber immer wieder unvermittelt ein. „Alle zwei Minuten kamen Reisebusse an, vollgestopft mit Frauen und Kindern, jeder nur eine Plastiktüte in der Hand. Erschöpft und traumatisiert, manche verletzt.“ Es sei ein ruhiger Tag heute, habe ihm ein Verantwortlicher später gesagt.

Seligenstädter müssen Erlebnisse vor Ort verarbeiten

Im Flüchtlingslager – ein altes Einkaufszentrum, vermutet Kühner – sind 3 500 Menschen untergebracht, ihre Matratzen liegen dicht an dicht. „Du fühlst dich schlecht, wenn du durch die Räume gehst, weil du fürchtest, den Menschen auch das letzte Stück Intimität zu nehmen“, sagt Kühner. Die Deutschen verteilten Überraschungseier an die Kinder und Bargeld an die Frauen. Das kurze Lächeln der Kinder und die Blicke der Frauen setzen den Helfern zu. „Da haben wir fünf Männer aus Seligenstadt jeder mal eine Viertelstunde alleine im Lkw gebraucht. Was du siehst, ist nicht zu fassen.“

Mittlerweile seien von der Grenze die Bombeneinschläge und das Zischen der Raketen zu hören. Christian Kühner will weitere Transporte aus Seligenstadt organisieren, mit der Hilfe von Tania, Marianna und Viktoria.

Spendenkonto

pro interplast Seligenstadt, Volksbank Seligenstadt, IBAN DE24 5069 2100 0000 2802 08.